Liebe Eltern,
Wie geht es euch zur Zeit? Nicht euren Kindern, eurem Familienleben, sondern EUCH?
Meist wird ja nach dem Befinden (und den Fortschritten) der Kinder gefragt, und wir Eltern stehen in der zweiten Reihe. Aber das eine hängt mit dem anderen zusammen.
Ich bin ziemlich oft (zugegebenermaßen öfter als mir gut tut) im Außen unterwegs – also nicht bei mir selbst, sondern in der Gefühls- und Lebenswelt meiner Kinder. Ihre Stimmungen beeinflussen oft meine Stimmung und mein Wohlbefinden. Irgendwie ist das auch verständlich. Wenn viel Streiterei, Weinen und Schimpfwörter durch die Wohnung fliegen, fällt es schwer, mit heiterem und friedlichen Herzen und einem Lächeln auf dem Gesicht durch den Tag zu gehen. Und oft genug bin ich dann gefühlsmäßig und auch gedanklich intensiv bei meinen Kindern, weil ich ihre Stimmungen abfangen, Streit am liebsten verhindern und für ein friedliches Miteinander sorgen will. Wenn dann die Tonlage aus dem Nachbarzimmer sich allmählich nach oben schraubt oder ich das erste Schimpfwort höre, springt mein innerliches Alarmsystem bereits an. Ihr merkt schon – ich bin sehr harmoniebedürftig…
Andererseits sehe ich es auch als elterliche Aufgabe, eben einen wachen Blick auf die Kinder zu haben. Und ein friedliches Zusammenleben ist ein wichtiges Ziel, das es mit den Kindern immer wieder zu erarbeiten und einzuüben gilt.
Es ist wieder einmal eine Frage der Balance. So gut und schön wie dieses Ziel des harmonischen Familienlebens und des Wohlergehens meiner Kinder auch sein mag - wenn ich darüber mich selbst aus dem Blick verliere, wird das kontraproduktiv. Schließlich gibt es in meiner Familie nicht nur die Anderen mit ihren Bedürfnissen, sondern auch mich. Und ein friedliches Zusammenleben beinhaltet, dass für die Bedürfnisse aller bestmöglich gesorgt ist. Also geht es auch um meine (eure) Bedürfnisse.
Unsere eigene Bedürfnisse sind nicht nur das Sahnehäubchen obendrauf, sondern essentiell: Jesus […] antwortete ihm: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt.“ Dies ist das höchste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Mt. 22,37-39)
Hier geht es um die Grundlage eines gelingenden Lebens. Sie findet sich in einer Dreiecksbeziehung - Gott, ich und der Mitmensch. Mein Leben kann nur gelingen (sinnvoll sein oder Frucht bringen sind andere Begriffe dafür), wenn ich Gott liebe, mich nach ihm sehne, nach ihm frage und ihn in meinem Herzen mit mir trage. Wo ich gehe und stehe, was auch immer ich tue oder lasse – ich brauche Gott in meinem Herzen für ein gelingendes Leben. Eine andere und ebenso wichtige Ecke des Dreiecks ist mein Mitmensch. Für ihn brauche ich einen wachen Geist, Augen zum Sehen und Ohren zum Hören. Es gilt ihn wahrzunehmen und zu lieben – so wie er ist. Als Eltern ist das ein Teil des Dreiecks, an dem wir wahrscheinlich permanent arbeiten und dran sind. Allerdings laufen wir mitunter Gefahr, einen beschränkten Blick auf unsere Nächsten – die es zu lieben heißt - zu haben. Natürlich lieben wir unsere Kinder. Aber was ist mit den über Kinderlärm schimpfenden Nachbarn? Mit den Hundebesitzerinnen, die die Hinterlassenschaften ihrer Haustiere als Tretmienen für unsere Kinder liegen lassen? Auch das sind unsere Nächsten.
Zurück zum eigentlichen Thema: Was ist mit uns selbst? Lieben wir uns selbst? Kümmern wir uns auch (ausreichend) um unsere Bedürfnisse und Wohlergehen?
Ich selber muss mich immer wieder an den ersten Schritt dazu erinnern: die Frage, wie es mir selber geht. Also einen Moment des Innehaltens und In-Mich-Hinein-Spürens. Das kann im turbulenten Familienalltag schon eine echte Herausforderung sein. Vielleicht helfen ein paar bewusste tiefe Atemzüge. Vielleicht kann ich einen Moment die Augen schließen. Vielleicht schaffe ich es, gedanklich durch meinen Körper zu gehen und zu erspüren, wo er sich weich und entspannt, wo hart und verkrampft anfühlt. Vielleicht lege ich die Hände auf meinen Bauch. Vielleicht lege ich mich kurz auf den Küchenfußboden und spüre, an welchen Stellen mein Körper aufliegt. Oder…
Und dann geht es darum, in mich hinein zu horchen und mein Herz und meinen Bauch zu fragen, was ich gerade brauche. Welche Bedürfnisse kann ich spüren? Etwas Essen oder Trinken? Einen Moment der Ruhe? Ist mir gerade die Verbindung zu anderen Menschen wichtig und ich will sie spüren? Brauche ich gerade Abwechslung? Will ich meine Wirksamkeit spüren? Brauche ich Wärme? Bewegung? Frische Luft? Unterstützung? Es für mich schön machen? …
Schon dieses Innehalten und Bewusstwerden der eigenen Bedürfnisse ist ein ganz wichtiger Teil der Selbstfürsorge, der Liebe zu uns selbst. Und letztlich auch der Sorge für unsere Kinder, denn: wie wollen wir unseren Kindern beibringen, auf sich selbst zu achten, wenn wir nicht auf uns achten? Unsere Vorbildwirkung sollten wir nie unterschätzen.
Mit (kleinen) Kindern ist es oft schwer, sich ausreichend um die eigenen Bedürfnisse zu kümmern. Aber wenn wir uns mit unseren Bedürfnissen auseinandersetzen, fallen uns auch immer mehr Strategien ein, sie zu erfüllen. Und ja, wir Großen können unsere Bedürfnisse auch meist eine Weile zurück stellen. Aber irgendwann sind sie dran. Und je weiter wir ihre Erfüllung nach hinten schieben, desto vehementer platzen sie dann irgendwann aus uns heraus und schreien förmlich nach Erfüllung.
Vielleicht fallen uns beim Nachdenken viele kleine Schritte ein, mit denen wir auch im vollen Familienalltag für uns sorgen können ohne dass es viel Zeit und Raum einnimmt.
Das kann sein, ein paar Blumen für mich selbst zu kaufen, um es mir schön zu machen. Die anderen freuen sich auch darüber? Prima, schöner Nebeneffekt. Aber vor allem habe ich damit für meine Freude gesorgt. Das kann sein, sich bewusst ein kleines Pflegeritual oder die Lieblingscreme im Bad zu gönnen. Das kann sein, die Hände aneinander zu reiben und sich dann ganz ruhig über das eigene Gesicht zu streichen und die Wärme und Entspannung zu genießen. Das kann sein, ein kleines Lied zu summen, das mir gut tut, mich froh macht oder tröstet. Das kann sein, eine Kerze zum Essen anzuzünden – ohne besonderen Anlass, sondern weil ich ein Licht brauche. Das kann sein, mal ein paar Minuten die Füße mit einem Igelball zu massieren, weil ich immer so viel auf den Beinen bin und wortwörtlich viel mit mir rumschleppe, was die Füße tragen müssen. Das kann sein, eine kurze Sportübung zu machen, einfach so zwischendrin (aus dem Yoga, Quigong, was auch immer uns gut tut). Das kann sein, kurz die Augen zu schließen und nur zu spüren, wie der Atem ein- und ausströmt. Das kann sein, ein paar bewusste tiefe Atemzüge zu nehmen und dabei an einen lieben Menschen zu denken. Das kann sein…
Auch wenn es oft nur kleine und kurze Momente sind, die wir für uns haben, lohnt es sich, dass wir sie bewusst genießen und wahrnehmen anstatt traurig oder ärgerlich zu sein, dass es nur so wenig ist. Vielleicht schaffen wir es, jeden Tag etwas (Kleines) bewusst für uns zu tun. Und wenn wir es doch einmal wieder vergessen haben – nicht darüber ärgern, einfach wieder neu beginnen und darüber freuen.
Ein tatsächliches Sahnehäubchen ist es, wenn wir etwas finden, was wir gemeinsam mit unseren Kindern tun und so richtig genießen können. Ein paar Ideen dazu:
eine gegenseitige Massage mit dem Igelball
auf dem Rücken eine Pizzabacken-Massage machen
ein gemeinsames warmes Fußbad
mit Öl den Bauch einreiben
…
Diese Dinge lassen sich auch abwechselnd füreinander tun, also nach der Wohlfühlbehandlung für euer Kind folgt eure eigene. Und nebenbei lernen unsere Kinder, wie schön es sein kann, zum Wohlbefinden anderer beizutragen.
Viele Grüße von Judith
GOTTES Segen ist in mir (Hand auf den Oberkörper legen)
und außen (Hand geöffnet vor sich halten)
und um mich herum (einmal um sich selber drehen)
er gibt meinen Füßen festen Stand (Beide Füße nacheinander fest auftreten)
bei IHM bin ich geborgen in SEINER Hand (Hände des Kindes nehmen)